Benutzer:Admin/XY ungelöst: “Mümmelmannsberg”
Zuerst erschienen auf blogxy.de am 16. September 2014
Michael Riesterer lebte gemeinsam mit seiner alleinerziehenden Mutter Helga und seinem 15-jährigen Bruder Rolf in einer Wohnung in der Großsiedlung Mümmelmannsberg in Hamburg-Billstedt. Einer seiner Spielkameraden – Haluk Kocal – wohnte in direkter Nachbarschaft. Die beiden 8- und 9-jährigen Jungen kamen im Juni 1981 Abends nach einer Runde mit dem Rad nicht mehr nach Hause. 44 Tage später wurden ihre Leichen gefunden, sie waren auf heimtückische Weise umgebracht worden. Trotz einiger Festnahmen und einer Gerichtsverhandlung blieb der Fall bis heute ungelöst.
Am 3. September 1982 wurde der Fall bei Aktenzeichen XY … ungelöst ausgestrahlt, in der Vorstellung betonte Eduard Zimmermann, dass die beachtliche Mitarbeit der Hamburger Bevölkerung in diesem Fall bereits zur Aufklärung von einigen Sexualstraftaten hatte führen können, leider war bis dato der entscheidende Hinweis zum Doppelmord in Mümmelmannsberg nicht dabei gewesen.
Alles hatte seinen Anfang am 15. Juni 1981 genommen. Nachdem der 8-jährige Michael Riesterer seine Hausaufgaben erledigt hatte, erlaubt seine Mutter ihm gegen kurz nach 18 Uhr noch eine Runde auf seinem Fahrrad zu drehen, welches er ein Jahr zuvor zum Geburtstag bekommen hatte und mit dem er beinahe täglich in der Wohnsiedlung unterwegs war. Pünktlich um 19 Uhr sollte Michael zum Abendessen wieder Zuhause sein. Auf dem Weg zu einer kleinen Tour trifft er dann den 9-jährigen Nachbarsjungen Haluk Kocal, der mit seiner Familie erst seit kurzer Zeit in der Straße Godenwind in Mümmelmannsberg lebt. Die beiden beschließen, gemeinsam eine Runde mit den Fahrrädern zu drehen. Als Michael nach 19 Uhr nicht zum Abendessen erschienen ist, geht sein Bruder Rolf nachschauen. Er sieht ihn in unmittelbarer Nähe der Wohnung und bittet ihn zum Essen heraufzukommen. Dennoch machen sich Michael und Haluk auf in Richtung der Boberger Dünen (heutiges Naturschutzgebiet Boberger Niederung). Auf dem Weg dorthin werden sie noch von einem Mädchen auf einem Kinderspielplatz gesehen. Am Rande des Naturschutzgebiets befindet sich ein Parkplatz an der B5 (Bergedorfer Straße), auf denen die Jungen von einem weiteren Zeugen beobachtet werden. Sie haben ihre Fahrräder einfach auf den Gehweg gelegt und blockieren somit die Weiterfahrt des Mannes. Der Mann sieht, wie die beiden Jungen auf dem Parkplatz mit einem Mann sprechen, der am offenen Kofferraum seines Autos steht, nähere Angaben zum Fahrzeug kann der Zeuge leider nicht machen.
Inzwischen ist es kurz vor 20 Uhr und die Familien der beiden Kinder machen sich große Sorgen. Auf der Straße trifft Michaels Mutter auf die weinende Mutter von Haluk, die bereits die Umgebung nach ihrem Sohn abgesucht hat. Michaels Bruder Rolf durchstreift noch einmal die Siedlung und kommt bei dieser Gelegenheit auch an der Stelle vorbei, an denen die Jungen die B5 in Richtung Parkplatz verlassen haben. Rolf findet die beiden Räder, die inzwischen ordentlich am Rande des Radweges – allerdings unabgeschlossen – abgestellt sind. Da das Fahrrad Michaels ganzer Stolz ist und er sich zum Schutz vor Diebstahl dafür extra ein schweres Schloss gekauft hat, geht sein Bruder davon aus, dass die Jungen nicht weit weg sein können. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich Michael und Haluk aber vermutlich bereits in den Fängen ihres Mörders. Das Ehepaar Steffens, welches im Naturschutzgebiet Reit – rund 10km von den Boberger Dünen entfernt – seit einigen Jahren eine Obst- und Gemüseplantage betreibt, gibt im Nachhinein an, dort am Abend des Verschwindens der Kinder gegen 21.30 Uhr gruselige Schreie gehört zu haben. Man habe diesen aber keine besondere Bedeutung zugemessen, da sie schnell wieder verklungen seien.
In den nächsten Wochen sucht die Polizei vergeblich nach den beiden Jungen. 6 Wochen später – am 29. Juli 1981 – wird der Verdacht, dass die Schreie von Michael und Haluk kamen, traurige Gewissheit. Zwei Schüler, die mit ihren Eltern in der Region Urlaub machen und im Naturschutzgebiet Reit Mirabellen plücken wollen, finden zunächst einen Autoteppich und dann die bereits stark skelettierten Leichen von Michael Riesterer und Haluk Kocal. Eine genaue Todesursache konnte die Kriminalpolizei nicht mehr mit Sicherheit feststellen, die Kinder waren aber vermutlich unmittelbar nach ihrem Verschwinden erdrosselt und zuvor sexuell missbraucht worden.
Als im Sommer 1982 die Dreharbeiten für die XY-Ausstrahlung des Doppelmords von Mümmelmannsberg anliefen, stand der 38-jährige Jürgen-Walter S. vor Gericht. Er wurde wegen Tierquälerei zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten verurteilt. Daraufhin erinnerte sich ein Zeuge, den Mann mit der auffälligen Narbe in eben jenen Tagen als die Jungen verschwanden im Naturschutzgebiet Reit gesehen zu haben. Spur Nummer 466 im Doppelmord an Michael und Haluk war der Hinweis auf Jürgen-Walter S. Nach der Ausstrahlung bei XY, die ebenfalls ein paar Dutzend neue Hinweise brachten, konnte die zuständige Mordkommission unter Leitung des Kriminalhauptkommissars Rolf Bauer im November 1983 den Wagen ausfindig machen, den Jürgen-Walter S. zu diesem Zeitpunkt gefahren hatte: einen schwarzen Opel Diplomat. Auf der Rückbank des Wagens fanden die Beamten hunderte von Haaren – keine große Überraschung, hatte der Tatverdächtige doch als Tierhändler gearbeitet und in dem Fahrzeug unzählige von Hunden transportiert.
Im Frühjahr des Jahres 1984 konnten zwei Doktorinnen der Biologie an der Universität Hamburg dann nachweisen, dass zwischen den unzähligen Hundehaaren auch verschiedene menschliche Haarbruchstücke seien, welche dem blonden Michael und dem dunkelhaarigen Haluk zugeordneten werden könnten. Jürgen-Walter S. stellte sich durch den Druck der öffentlichen Fahndung Ende Februar 1984 der Polizei, bestritt aber während der Vernehmung etwas mit dem Verbrechen zu tun zu haben. Auf seinen Antrag hin, erstellte das Bundeskriminalamt ein neues Haargutachten. Die BKA-Gutachter kamen im Gegensatz zu den beiden Hamburger Biologinnen zu dem Schluss, dass es sich nicht um die Haare der beiden getöteten Jungen handele. Daraufhin musste der Haftbefehl gegen Jürgen-Walter S. aufgehoben werden, er verblieb aber im Gefängnis, da er im Januar 1984 in einem Supermarkt Schnaps geraubt hatte. Oberstaatsanwalt Peter Beck sagte damals dem Hamburger Abendblatt: “Wenn wir keine ausreichenden Beweise haben, dann muss der Mann in einem Rechtsstaat als unschuldig gelten.”
Somit gilt der Fall auch heute noch als einer der ungeklärten Kindermorde von Hamburg und der folgende Filmfall mit den verschwundenen Gegenständen der Kinder (2 Fahrradschlüssel und Murmeln) und der Frage nach dem gefundenen Teppich hat nach wie vor traurige Gültigkeit.
Sprecher: Wolfgang Grönebaum
Quellen:
Friedhelm Werremeyer: “Der Tierquäler, der zwei Kinder umbrachte” (Hörzu 16 / 1984) (Zum damaligen Zeitpunkt ging man fest von der Täterschaft von Jürgen-Walter S. aus)
Hamburger Abendblatt online vom 5. April 2005
Hamburger Abendblatt vom 1.3.1983 (Seite 1 & 4)
Hamburger Abendblatt vom 2.3.1983 (Seite 1)
Hamburger Abendblatt vom 22.8.1984 (Seite 4)
Hamburger Abendblatt vom 19.3.1985 (Seite 9)
Filmfall Aktenzeichen XY … ungelöst vom 3. September 1982