Die nächste Sendung läuft am 27. März 2024 um 20.15 Uhr im ZDF!

Mord am Europakanal: Vom Schulmädchen zur Prostituierten – Das unfassbare Doppelleben der Sylvia Sch.

Aus Aktenzeichen XY ... ungelöst - Wiki

Ein Review von bastian2410 am 21.11.2012
(Original-Beitrag mit Diskussion im XY-Forum)

Der Fall wurde in folgenden Sendungen behandelt:

Tattag: 2. Mai 1985 gegen 18 Uhr
Tatort: Am Europakanal 34 in Erlangen
Todesursache: Erstochen

Was haben wir nicht schon alles erlebt in über 40 Jahren Aktenzeichen xy. Wir haben gestaunt, wir haben mit den Opfern gelitten, wir haben uns über die Täter geärgert, waren über gewisse Taten wütend, das ein oder andere Mal haben wir dank Aktenzeichen xy auch mal geschmunzelt. Aber was sich am 2. Mai 1985 am Europakanal in Erlangen abgespielt hat, ist auch fast 30 Jahre nach der Tat kaum zu glauben. Das Opfer ist eine 19-jährige Schülerin – eine Schülerin allerdings, die recht eigenartige Vorstellungen von ihrer Zukunft hatte und diese Vorstellungen mit nahezu unfassbarer Konsequenz verfolgte. Der Mordfall ist einer der beliebtesten Filmfälle aus der Ära Zimmermann – ein absoluter Klassiker der xy-History. Aber nicht nur die Vorgeschichte des Opfers und die eigentlich Tat haben ihre Dramaturgie, auch das juristische Nachspiel verdient eine nähere Betrachtung.

(Anm: Der Name des Täters und die Namen der Zeugen wurden verfremdet. Zeit- und Ortsangaben entsprechen den wahren Begebenheiten.)

Teil 1

Erlangen – eine wunderschöne Stadt in Mittelfranken mit ca. 100.000 Einwohnern, nur ca. 25 Kilometer von Nürnberg entfernt. Das Stadtbild ist geprägt von Studenten, die 1/3 der Erlanger Bevölkerung ausmachen. Die Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, zweitgrößte Universität in Bayern, ist gerade bei Juristen, Medizinern und Philosophen sehr beliebt – auch Ludwig Erhard, der zweite Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, studierte hier bis 1922. Die FAU machte 1982 Schlagzeilen, als in der Uniklinik Erlangen das erste deutsche "Retortenbaby" geboren wurde. 1992 wurde dann der Körper einer hirntoten Schwangeren durch lebenserhaltende Maßnahmen künstlich am Leben erhalten, um das Kind weiter auszutragen. Der Versuch des sogenannten Erlanger Babys scheiterte jedoch und führte zu zahlreichen Diskussion in der Bevölkerung über das Recht des Einzelnen auf ein Sterben in Würde. (2008 glückte ein ähnlicher Fall an der Uni Erlangen).

Ob auch Sylvia Sch. ein Studium in Erlangen aufnehmen wollte, ist unbekannt. Im Frühjahr 1985 bereitet sich die 19-Jährige auf jeden Fall auf die Abiturprüfungen vor. Für sie ist es der zweite Anlauf, der erste Versuch scheiterte ein Jahr zuvor vor allem an Mathe. Insgesamt vermittelt die Tochter eines Erlanger Technikers jedoch den Eindruck, sich dieses Jahr intensiver auf die Reifeprüfungen vorzubereiten.

Dass der erste Anlauf nicht geklappt hat, könnte auch am turbulenten Privatleben der 19-Jährigen liegen. Ungewöhnlich für eine Frau in diesem Alter ist der Umstand, dass Sylvia Sch. bereits seit 1 ½ Jahren verheiratet ist. Ihre Eltern waren von dieser Entscheidung zwar nicht begeistert, stimmten jedoch unter der Bedingung zu, dass Sylvia die Schule beendet. Seit ihrer Heirat wohnt sie auch nicht bei ihren Eltern, sondern zog mit ihrem Ehemann Thomas in eine 3-Zimmer-Wohnung im Stadtteil Bruck ein. Ihr Ehemann arbeitet als Wachmann bei den amerikanischen Streitkräften ganz in der Nähe der Wohnung. Für Außenstehende entsteht der Eindruck einer jungen und glücklichen Familie – vormittags drückt Sylvia Sch. die Schulbank, und nachmittags kümmert sie sich um den Haushalt und ihren Ehemann.

Obwohl der Lerndruck auf die bevorstehenden Abiturprüfungen stärker wird, fällt Mitschülern und Lehrern verstärkt auf, dass die junge Erlangerin ab März 1985 immer öfter im Unterricht fehlt. Anfang 1985 hatte das Ehepaar ohne Wissen der Familie eine weitere Wohnung Am Europakanal 34 im Stadtteil Büchenbach angemietet. Ab dieser Zeit fährt Sylvia Sch. regelmäßig nach der Schule direkt in die Wohnung am Europakanal. Das die 19-Jährige zusammen mit ihrem Ehemann diese Wohnung in Büchenbach angemietet hat, hat einen besonderen, wenn auch unfassbaren Grund. Die Schülerin führt ein für ihr Alter sehr ungewöhnliches Doppelleben. Nachdem sie vormittags die Schulbank gedrückt hat, geht sie am Nachmittag am Europakanal der Prostitution nach und empfängt in der Zwei-Zimmer-Wohnung ihre Freier. Ihr persönliches Umfeld – auch ihre Eltern – wissen von dieser Tätigkeit nichts. Ihren Freunden und ihren Eltern gegenüber sagt sie, dass sie mit einer Freundin am Europakanal lernen würde. Lediglich ihr Ehemann und das Gesundheitsamt wissen über ihre Nebentätigkeit Bescheid, da sie sich als Prostituierte hat registrieren lassen.

Wie professionell die Erlangerin ihren "Beruf" ausübt, zeigt der Umstand, dass sie über ihre Kundschaft eine Art Tagebuch führt, in dem sie Vorlieben und Häufigkeit der Besuche ihrer Freier notiert. Die Risiken ihrer Tätigkeiten waren Sylvia Sch. durchaus bekannt. In ihrer direkten Nachbarschaft, ebenfalls in einem Hochhauskomplex Am Europaplatz, wurden im letzten halben Jahr insgesamt zwei Prostituierte mit einem Messer überfallen, vergewaltigt und beraubt. In dieser Zeit ermittelt die Polizei in Büchenbach auf Hochtouren nach dem Täter und geht davon aus, dass in beiden Fällen dieselbe Person die Taten begangen hat und es nicht auszuschließen sei, dass noch weitere Straftaten folgen werden.

Die Hoffnung auf das große Geld zerstreuen jedoch jeden Zweifel bei dem jungen Paar. Um das Risiko gering zu halten, meldet sich der Ehemann mehrmals täglich telefonisch bei seiner Ehefrau. Mehrere Monate läuft das unglaubliche Doppelleben der jungen Frau unbemerkt ab. Morgens paukt sie in der Schule für das Abi, mittags empfängt sie die Freier und abends spielt sie die Ehefrau.

Am 2. Mai 1985 fehlt Sylvia Sch. erneut in der Schule. Bis 11 Uhr ist sie zu Hause und frühstückt mit ihrem Ehemann. Danach fährt sie mit dem Bus zu Europakanal – mit ihrem Mann verabredet sie ein Telefonat im Laufe des Tages. Wie viele Freier die 19-Jährige an diesem Tag empfangen hat, ist unbekannt. Unter ihren Kunden an diesem Tag ist wahrscheinlich auch der Mann, der mehreren Zeugen am späten Nachmittag mit seinem Motorrad auf dem Parkplatz des EWZ am Europaplatz auffällt. Gegen 17:40 Uhr stellt der Mann sein Motorrad auf dem Parkplatz ab, wenige Minuten später wird wahrscheinlich der gleiche Mann von zwei Zeuginnen im Treppenhaus des Hochhauskomplexes gesehen, in dem Sylvia Sch. ihren Geschäften nachgeht. Gegen 18 Uhr öffnete die junge Schülerin ihrem letzten Freier in ihrem Leben die Tür – es wird ihr Mörder sein. Was danach passiert, kann später von der Polizei nicht mehr zu 100% rekonstruiert werden. Der Mann fällt kurz nach dem Betreten der Wohnung sein Opfer an, zieht es ins Schlafzimmer und sticht mehrmals mit einem Messer auf den Körper von Sylvia Sch. ein. Nachbarn hören ein dumpfes Geräusch und ein kurzes, aber nicht sehr langes Schreien. Der Versuch der 19-jährigen Erlangerin, sich mit Tränengas gegen den Täter zu wehren, schlägt fehl. Sylvia Sch. hat keine Chance, ihr Körper weist später nach der Untersuchung der Rechtsmedizin fast 20 Einstiche auf, von denen auch mehrere tödlich waren. Zudem wurden das Gesicht und verschiedene Körperzonen der Schülerin mit dem eigenem Blut verschmiert. Nach der Tat durchtrennt der Unbekannte das Telefonkabel und entwendet die Geldbörse des Opfers. Auch die Wohnungsschlüssel nimmt der Täter mit.

Auf dem Weg zum Parkplatz vor dem Haus wird der mutmaßliche Täter von einer Bewohnerin im Treppenhaus nochmals gesehen. Nach ihrer Ansicht soll der Täter dunkelbraune Haare gehabt haben, 30 Jahre alt und 1,75 Meter groß gewesen sein. Nach dieser Begegnung verschwindet der Unbekannte mit seinem gelben Motorrad. Nachdem Sylvia Sch. am Abend nicht nach Hause kommt und auch telefonisch nicht erreichbar ist, wird sie von ihren Ehemann gegen 22 Uhr in ihrer Wohnung am Europakanal tot aufgefunden.

Die Motivlage in diesem Mordfall ist für die Polizei nicht zu 100% klar. Zwar wurde dem Opfer die Geldbörse entwendet, aber auch ein versuchtes Sexualdelikt bzw. einen Streit über einen möglichen Liebeslohn, der dann eskalierte, schließt die Kripo nicht aus. Spuren, die auf den Täter hindeuten, findet die Polizei nicht viele bei der ersten Tatortuntersuchung. Verschiedenes Gen-Material wird gefunden, welches jedoch bei der ausgeübten Tätigkeit des Opfers kein Wunder ist. Lediglich ein Haar in unmittelbarer Nähe des Leichenfundes und eine Blutspur im Bad könnten nach Ansicht der Kripo vom Mörder stammen und den Täterkreis etwas eingrenzen. Eine Tatwaffe wird im engen räumlichen Umkreis des Tatorts nicht gefunden. Eine kriminaltechnische Untersuchung nach heutigem Standard war 1985 noch nicht möglich, lediglich eine Blutgruppen-Bestimmung konnte damals bei einer entsprechenden vorhandenen Menge von Gen-Material herausgefiltert werden. Auch ein Zusammenhang zu den Überfällen auf Prostituierte im Nachbarhaus am Europakanal wird untersucht. Bei diesen Überfällen, bei denen die Opfer vergewaltigt und ebenfalls ausgeraubt wurden, ging der Täter ähnlich brutal vor wie im Fall Sylvia Sch.

Im Oktober 1986, 17 Monate nach dem Mord an der 19-jährigen Schülerin, wird erneut eine Prostituierte im Hochhaus Am Europakanal 36 mit einem Messer bedroht, vergewaltigt und ausgeraubt. Erneut geht der Täter sehr brutal vor, wendet massive Gewalt an und hinterlässt kaum Spuren. Da alle drei Frauen eine ähnliche Täterbeschreibung abgeben, geht die Polizei davon aus, dass alle Taten am Europaplatz vom gleichen Täter verübt wurden. Auch den Mordfall Sylvia Sch. schreiben die Beamten dem Vergewaltiger zu, obwohl es hier Abweichungen in der Täterbeschreibung seitens der Zeugen gibt.

Ein Tatverdacht gegen eine bestimmte Person lässt sich nicht erhärten. Im Februar 1986, also noch vor dem dritten Überfall auf eine weitere Prostituierte, bittet die Kripo Erlangen die Zuschauer von Aktenzeichen xy um Mithilfe. Die Beamten rekonstruieren akribisch die letzten Monaten im Leben von Sylvia. Der Zuschauer erhält einen umfassenden Einblick in die Lebensgewohnheiten des Opfers. Von den Überfällen auf die Prostituierten im Nachbarhaus erfährt der Zuschauer nichts. Im Mittelpunkt stehen allein die Identifizierung des Unbekannten im Treppenhaus und Hinweise auf das gelbe Motorrad, welches zur Tatzeit auf dem Parkplatz des EWZ vor dem Hochhauskomplex Am Europaplatz von Zeugen gesehen wurde.

Es gehen zwar Hinweise mit dem Schwerpunkt auf das Motorrad ein, eine heiße Spur ergibt sich jedoch nicht. In den nächsten Jahren gehen immer wieder mal Hinweise bei Kripo Erlangen ein, die von den Beamten auch abgearbeitet werden – ein Tatverdacht gegen eine bestimmte Person kann jedoch nie erhärtet werden. Auch die Überfälle auf Prostituierte hören nach der letzten Tat im Oktober 1986 auf. Da die Beamten den Täter als Serientäter einstufen, gehen sie davon aus, dass Veränderungen im persönlichen Umfeld des Täters ursächlich für das Ende der Taten sind. Gründe hierfür können eine neue Partnerschaft, Arbeit oder Umzug sein, aber auch eine Krankheit oder ein Gefängnisaufenthalt.

1988 wird die SoKo im Fall Sylvia Sch. bei der Kripo Erlangen aufgelöst, der Fall jedoch – wie üblich bei Mordfällen – nicht zu den Akten gelegt. 5 Jahre nach dem Mord überprüfen zwei Beamte noch einmal die Akten im Fall Sylvia Sch., müssen aber feststellen, dass sich mit den kaum vorhandenen Spuren keine neuen Ermittlungsansätze ergeben. Es wird noch lange dauern, bis die Kripo eine heiße Spur finden wird.

Ein weiterer Mord an einer Frau in Erlangen rückt in den Mittelpunkt der Ermittlungen. Zwei Männer werden festgenommen und gestehen den Frauenmord. Die Ermittler befragen die Tatverdächtigen auch zum Fall Sylvia Sch. Zwei Blutspuren in der Wohnung der Schülerin im Hochhaus Am Europakanal weisen die identische Blutgruppe auf. Es ist jedoch eine Blutgruppe, die auch auf weitere Personen in der Bevölkerung zutreffen kann. Zudem lässt der Fundort der Blutspuren nicht unbedingt auf eine Tatbeteiligung der Spurenverursacher schließen. Nach weiteren Ermittlungen stellt die Kripo das Verfahren gegen die beiden Tatverdächtigen nach deren Verurteilung im eigentlichen Fall ein.

Zu dieser Zeit, als die Beamten im Mordfall Sch. immer wieder mal die Akten aus dem Archiv durchforsten, sitzt ein gewisser Bernd F. in einem bayerischen Jugendgefängnis. Er hatte seit Mitte der 80er Jahre mehrere Autos aufgebrochen und wurde dafür verurteilt. Seit seiner Haftentlassung Anfang der 90er Jahre führt er jedoch ein normales Leben, hatte eine Ausbildung zum Kfz-Mechaniker abgeschlossen und eine Partnerin gefunden.

1993 wird in Deutschland das automatisierte Fingerabdruckidentifizierungssystem – kurz AFIS – in Betrieb genommen. Das Verfahren ermöglicht den Beamten, Fingerabdrücke digital effektiver zu speichern und zu vergleichen. Die Speicherung erfolgt zentral beim BKA in Wiesbaden und kann jederzeit von den Landeskriminalämtern der verschiedenen Bundesländer abgerufen werden. Ende 1994 beantragt die Kripo Erlangen beim LKA Bayern einen routinemäßigen Abgleich der gesicherten Spuren im Fall Sylvia. Die Routineüberprüfung der Kartei ist ein voller Erfolg: Der Fingerabdruck, der im ersten Vergewaltigungsfall im Hochhaus Am Europakanal 36 im März 1984 sichergestellt wurde, ist in der Kartei registriert. Er gehört Bernd F., dessen Fingerabdrücke nach der Verurteilung wegen der Autoaufbrüche gespeichert wurden.

Im Februar 1994 – fast 9 Jahre nach dem Mord – wird Bernd F. festgenommen. In den ersten Vernehmungen gesteht der Kfz-Mechaniker sofort die drei Vergewaltigungen, den Mord an Sylvia Sch. streitet er jedoch ab und präsentiert den Beamten ein Alibi.

Teil 2

Anhand von Polizeiakten erfährt die Kripo, dass der Festgenommene am Tattag am späten Abend bei einer Polizeikontrolle kontrolliert wurde und auch zur Blutabgabe mit zur Wache musste. Für die eigentliche Tatzeit platzt jedoch sein Alibi. Ein Freund gibt in seinen Vernehmungen an, dass er zum fraglichen Zeitpunkt mit dem Tatverdächtigen nicht in einem Fitness-Studio trainiert hat.

Aufgrund der Indizien glauben sowohl die Polizei als auch die Staatsanwaltschaft an die Schuld von F. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg erhebt Mitte 1995 gegen Bernd F. Anklage wegen Mordes, dreifacher Vergewaltigung und Raub mit Todesfolge. Da Bernd F. zum damaligen Tatzeitpunkt bei drei von vier Taten mit 20 Jahren noch Heranwachsender war, wird der Prozess vor der Jugendkammer des Landgerichtes Nürnberg verhandelt. Der 31jährige Angeklagte wird dabei von einem sehr bekannten Münchner Staranwalt vertreten.

Der Prozess beginnt mit einem Paukenschlag: Die Verteidigung beantragt, das Mordverfahren von der Hauptverhandlung abzutrennen. Kurz vor Prozessbeginn hatte eine Frau bei der Pforzheimer Polizei ihren Ehemann des Mordes an der Prostituierten in Erlangen bezichtigt. Laut Einschätzung der Staatsanwaltschaft sei diese Aussage jedoch wenig glaubwürdig, weil die Frau ihren in Haft sitzenden Mann schon häufiger ohne Erfolg angeschwärzt hatte. Zum Beispiel beim Schleyer-Prozess oder bei der Oetker-Entführung.

Zudem beantragt die Verteidigung die Blutspuren, die in der Wohnung des Opfers gefunden wurden und zwei Männern zugeordnet werden konnten, die wegen eines anderen Mordes verurteilt wurden, neu zu untersuchen. Der Tathergang in diesem verurteilten Fall sei identisch mit dem Mord an Sylvia. Nach Meinung der Anwälte passt der Mord an Sylvia Sch. darüber hinaus nicht in das Tat- und Persönlichkeitsbild ihres Mandanten. Deshalb solle zunächst ein Sexualgutachten und auch eine Tatortanalyse nach einer neu entwickelten Methode des FBI erstellt und der Mordfall ausgegrenzt werden.

Überraschend entscheidet das Gericht zugunsten der Verteidigung. Der Mordvorwurf wird zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt. Im laufenden Verfahren geht es ausschließlich um die drei Vergewaltigungen, sexuelle Nötigung und räuberische Erpressung. Laut Anklageschrift soll der Angeklagte zwischen März 1984 und Oktober 1986 in der Erlanger Wohngegend Am Europakanal drei Prostituierte mit einem Messer bedroht, vergewaltigt und zum Teil beraubt haben. Die Taten wurden brutal ausgeführt, die Opfer wurden schwer verletzt und mussten Todesängste ausstehen.

Der 31-jährige Angeklagte räumt die Vorwürfe ein und gesteht auch vor Gericht die Vergewaltigungen. Die habe er verübt, um sich für seinen allerersten Besuch bei einer Prostituierten zu "entschädigen". Sie habe ihn um ihre Dienste betrogen. Durch diesen Vorfall habe er einen Hass auf Prostituierte gehegt. Warum er jedoch so brutal vorgegangen ist, wisse er heute nicht mehr.

Die Staatsanwaltschaft beantragt die Vernehmung von zwei Opfern. Nach Ansicht der Anklage sei es für das Strafmaß wichtig, welche Auswirkungen die Taten des Angeklagten auf das spätere Leben der Opfer gehabt haben. Eine der Frauen, die nur durch das plötzliche Erscheinen ihres Freundes knapp der Vergewaltigung entgangen war, will durch den Überfall keinen psychischen Schaden genommen haben. Zu ihrem Schutz hat sich die ehemalige Prostituierte damals einen Bullterrier angeschafft.

Die zweite Zeugin allerdings leidet noch heute unter der Erinnerung an die Vergewaltigung im März 1984. Sie habe damals Todesängste ausgestanden und lange Zeit unter Albträumen gelitten. So eine Tat könne man nie vergessen. Ihren Job als Prostituierte gab die heute 35-Jährige bald nach der Tat auf. Das dritte Opfer konnte wegen Krankheit nicht gehört werden.

Ein Gutachter beschreibt den Angeklagten als schüchternen, verklemmten jungen Mann. Der damals 20-Jährige sei von seinem Reifezustand zur Tatzeit im Hinblick auf die konkrete Tat noch einem Jugendlichen gleichzustellen. Das Jugendstrafrecht sei anzuwenden.

„Was geschehen ist, tut mir leid.“, beteuerte der KFZ-Mechaniker in seinem letzten Wort. Er könne sich heute nicht mehr vorstellen, wie es zu den Überfällen auf die Prostituierten gekommen war.

Am 17.11.1995 wird Bernd F. wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung und räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Für die Kammer beweisen die drei Vergehen ein hohes Maß an krimineller Energie und erhebliche Brutalität. Der Angeklagte habe eine schwere Schuld auf sich geladen, für seine Opfer waren die Taten die reinsten Alpträume. Das Geständnis wertet das Gericht ebenso positiv wie die Tatsache, dass der Angeklagte in der Zwischenzeit nicht mehr straffällig geworden war. Er habe seine Meisterprüfung als Kfz-Mechaniker abgelegt und sich eine Existenz aufbauen wollen. Als vorbestraft könne der Erlanger trotz mehrerer Delikte in seiner Jugend nicht mehr gelten, diese seien inzwischen sowieso gelöscht. Das Gericht habe sich für eine Jugendstrafe entschieden, da Bernd F. zwei der drei Überfälle als Heranwachsender begangen hatte.

(Anm: Hier liegt der Fall vor, dass Taten gleichzeitig abzuurteilen sind, die der Täter in verschiedenen Alters- und Reifestufen – zwei als Heranwachsender, eine als 22-Jähriger – begangen hat. Das Gesetz schreibt hier vor, dass in diesen Fällen auf alle Taten einheitlich Jugendstrafrecht oder einheitlich Erwachsenenstrafrecht angewendet werden soll. Es ist unzulässig, aus einer verhängten Jugendstrafe und einer verhängten Freiheitsstrafe nach Erwachsenenstrafrecht eine Gesamtstrafe zu bilden. Das schreibt § 32 JGG vor.)

Noch nicht verhandelt wurde der Mordvorwurf. Es wird nach der ersten Verurteilung noch 19 Monate dauern, bis der Mordprozess gegen Bernd F. eröffnet wird. Am 16.6.1997 wird erneut vor der Jugendstrafkammer des LG Nürnberg gegen den jetzt 32-jährigen Bernd F. wegen Mordes zur Verdeckung einer Straftat und aus Habgier, wegen Raubes mit Todesfolge sowie versuchter Vergewaltigung verhandelt. Dass zwei Männer als Täter in Frage kommen, die im selben Zeitraum in einen anderen Erlanger Frauenmord verwickelt waren und verurteilt wurden, konnte ausgeschlossen werden. Auch die Aussage einer Frau aus Erlangen, die ihren Ehemann des Mordes an Sylvia Sch. bezichtigte, hatte sich als falsch herausgestellt.

Sylvia wäre heute 31 Jahre alt, wäre sie vor zwölf Jahren nicht umgebracht worden, so die Anklageschrift. Die 19-Jährige, die damals schon verheiratet war, ging auf ein Gymnasium und arbeitete gleichzeitig als Prostituierte in einem Hochhauskomplex am Europakanal. Die Schülerin war am 2. Mai 1985 gegen 18 Uhr auf ziemlich brutale Weise ermordet worden – mit insgesamt 18 Messerstichen. Der Angeklagte kam am diesem 2. Mai in das Appartement von Sylvia, in dem sie auch ihre Freier empfing. Nachdem er die Wohnung betreten hatte, hat er sein Opfer überwältigt und zum kostenlosen Geschlechtsverkehr zwingen wollen. Sylvia Sch. wehrte sich jedoch und besprühte den Angeklagten mit Tränengas. Dann muss die Auseinansetzung weiter eskaliert sein und endete tödlich für die 19-jährige Erlangerin, Bernd F. schnitt ihr die Kehle durch und stach insgesamt 18-mal zu. Danach verschwand er mit allen Papieren und Geld, welches er in der Wohnung finden konnte. Der Angeklagte wollte mit der Tötung die versuchte Vergewaltigung vertuschen und zudem das Opfer berauben. Dieser Tatablauf beinhalte die Mordmerkmale der Verdeckung einer Straftat und Habgier.

Der Angeklagte will aussagen und streitet den Mordvorwurf vehement ab. Er habe den Mord nicht begangen und sei unschuldig. Dann schildert der Angeklagte, wie er den Tattag im Mai 1986 verbracht hat. Er habe am diesen Donnerstag bis gegen halb 6 Uhr an seiner Arbeitsstelle – einer KFZ- Werkstatt in einem Erlanger Vorort – gearbeitet. Er musste wegen eines Auftrags Überstunden machen. Dann sei er zu seinen Eltern zum Abendessen gefahren. Am frühen Abend sei er mit einem Freund in ein Fitness-Studio gegangen und habe trainiert. Nach dem Training habe er ein paar Freunde in einer Disco in Erlangen getroffen und ein paar Bier getrunken. Kurz vor Mitternacht sei er mit seinem Auto nach Hause gefahren. An diesem Abend war der Angeklagte jedoch angetrunken und geriet in eine Polizeikontrolle. Da habe er einen Fehler gemacht, sagte der 31-jährige Erlanger. Er musste mit zur Blutabnahme auf die Wache. Gegen drei Uhr nachts sei er dann nach Hause gekommen und habe sich schlafen gelegt.

Mit Spannung wird am zweiten Verhandlungstag ein Gutachten erwartet, welches von der Verteidigung beantragt wurde. Der Antrag der Verteidiger war unter anderen der Grund, dass der Mordvorwurf in der ersten Gerichtsverhandlung abgetrennt wurde und nun in einem weiteren Verfahren separat verhandelt wird. Es ist das erste Mal in der deutschen Justizgeschichte, dass anhand des vom FBI entwickelten Täterprofiling-/Tatortanalyse-Systems ein Gutachten über einen Angeklagten erstellt wird. Der Tatort wird dabei nach wissenschaftlichen Kriterien analysiert, so dass sich aus den Ergebnissen ein bestimmtes Verhalten des Täters interpretieren lässt. Der von der Verteidigung bestellte Kriminalpsychologe und Fallanalytiker war bereits bei der Ermittlung des Serienmörders Jack Unterweger, dem Würger von Regensburg Horst D. und beim Briefbombenleger Franz Fuchs involviert. Es wurde eine Begutachtung darüber verlangt, dass Bernd F. zwar die drei Vergewaltigungen an Prostituierten aus dem Nachbarwohnhaus der Getöteten begangen hat, als Mörder wegen der "sadistisch-perversen Tatausführung" jedoch nicht in Frage kommt. Für den Sachverständigen tragen jedoch alle vier Fälle die Handschrift des gleichen Täters. Mit hoher Wahrscheinlichkeit habe der gleiche Mann, der die Frauen vergewaltigte, Sylvia Sch. umgebracht. Der Gutachter ist sich sicher, dass der Angeklagte Sylvia Sch. nicht umbringen wollte. Er hatte zunächst nur vor, sie zu vergewaltigen. Wahrscheinlich hat sie sich heftig gewehrt und es kam zu einer Eskalation. Bei den drei Vergewaltigungen Am Europakanal 36 handelt es sich um charakteristische Taten eines anger retaliatory rapist – eines Vergewaltigers, der aus Zorn und Vergeltungsdrang handelt und das Opfer demütigen will. Gerade bei diesem Tätertypus droht jedoch eine Eskalation der Tat, wenn es durch Gegenwehr der Frau zu einem Kontrollverlust des Täters kommt. Bei der Tat im Nachbarhaus Am Europakanal 34 handelt es sich um eine Vergewaltigung, die aus der Sicht des Täters durch die Gegenwehr des Opfers aus dem Ruder gelaufen ist und somit für Sylvia Sch. tödlich endete. Als Motiv für die Taten liege es sehr nahe, dass jener Täter, der den Europakanal unsicher machte, im Zeitraum Sommer 1983 bis März 1984 eine für ihn nicht tragbare Kränkung, Beleidigung oder Erniedrigung durch eine Prostituierte habe erfahren müssen. Auf die Frage des Gerichts, warum der Täter Blut auf dem Gesicht und auf den unbedeckten Körperzonen des Opfers verschmiert habe, berichtet der Gutachter aus Österreich, dass der Hass des Täters auf Prostituierte so weit gehe, dass er seine Opfer symbolisch degradieren wollte.

Ein Frankfurter Anthropologe hatte einen Fußabdruck, der in der Wohnung des Opfers auf einem Teppich gefunden wurde, untersucht und mit Abdrücken des Angeklagten verglichen. Der sichergestellte Abdruck und das Vergleichsmuster des Angeklagten seien sehr ähnlich. Mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit stammt der Fußabdruck aus der Wohnung von Bernd F.

Zeugen für die Tat gab es nicht, infolgedessen wurden nicht viele Zeugen vorgeladen. Einen Mithäftling gegenüber soll Bernd F. den Mord an Sylvia während der ersten Verhandlung gestanden haben. Der 46-jährige Zeuge muss wegen Bankraubs eine achtjährige Haftstrafe absitzen. Während eines Gespräches über die erste Gerichtsverhandlung wegen Vergewaltigung will der Zeuge den Angeklagten gefragt haben, ob er auch der Prostituiertenmörder sei. „Ja, ich habe sie abgestochen. Aber die haben nur ein Haar als Beweis.“, so die Antwort von Bernd F. Die Verteidigung hält den Zeugen für unglaubwürdig. Er gelte unter seinen Mitinsassen als Schwätzer, der sich Vergünstigungen verschaffen wolle. Zwei andere Mitgefangene, die auf Antrag der Verteidigung vorgeladen wurden, bestätigten das vor Gericht. Bernd F. habe nie etwas von seinen Straftaten während der Haftzeit erzählt.

Auch die ehemalige Chefin des Angeklagten wurde als Zeugin geladen. Sie wurde befragt, ob Bernd F. am Mordtag wirklich Überstunden gemacht habe. Es sei möglich, dass F. bis 17:30 Uhr gearbeitet habe, aber sie könne sich nicht erinnern. Und die Stempelkarten seien nach dieser langen Zeit schon vernichtet.

Der Freund, mit dem der Angeklagte angeblich zur Tatzeit im Fitness-Studio war, bezeichnet den Angeklagten als Lügner. Er sei sich ganz sicher, dass er damals nicht Bernd F. unterwegs war. Erst in der Disco hätte man sich getroffen. Das wisse er deshalb so genau, weil an diesem Abend der Angeklagte betrunken von einer Polizeistreife angehalten wurde und mit zur Wache musste.

Laut Rechtsmedizin starb Sylvia durch innere Verblutungen. 18 Messerstiche wies der Körper auf, auch Einschnitte im Hals wurden festgestellt. Die Halsschlagader wurde durchtrennt, dadurch kam es zu einem hohen Blutverlust. Alle Messerstiche wurden mit großer Wucht zugefügt.

Dann sagen weitere Gutachter aus. Untersucht wurde unter anderem ein Haar, welches am Tatort gefunden wurde, und eine Blutspur, die im Badezimmer sichergestellt wurde. Das Blut aus dem Bad ist der gleichen Blutgruppe zuzuordnen wie die des Angeklagten. Das Ergebnis der Blutgruppenbestimmung trifft jedoch auch auf weitere Personen in der deutschen Bevölkerung zu.

Ähnlich fällt das Gutachten der Haarprobe aus. Kriminaltechnische Untersuchungen konnten das Haar dem Angeklagten zuordnen. Die Gutachter sprechen von einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, dass Bernd F. das Haar am Tatort hinterlassen hat.

(Anm: Über den Zustand der Haarprobe wurde nichts gesagt. Es ist anzunehmen, dass bei der Analyse auch die Haarwurzel untersucht wurde. Ansonsten ist eine Zuordnung nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 60% möglich. "Sehr hohe Wahrscheinlichkeit" heißt aus dem Juristenjargon übersetzt, dass die Probe einer Person zu 90% bis 95% zugeordnet werden kann.)

Laut psychologischem Gutachten ist der Angeklagte voll zurechnungsfähig. Bernd F. wurde zwar bei seinen ersten Besuchen bei Prostituierten enttäuscht und auch betrogen. Durch diese Erlebnisse habe der Angeklagte dann einen Hass auf diese Frauen entwickelt – dies zeige auch die brutale Tatausführung. Laut Gutachten im ersten Prozess war F. verklemmt und schüchtern, eine krankhafte Störung liege jedoch nicht vor. Das zeigt auch, dass der Angeklagte nach Veränderungen im persönlichen Umfeld und durch die Perspektiven im ausgeübten Beruf seinen Hass gegenüber Prostituierten unterdrücken konnte und auch in den Griff bekommen hat.

Der Staatsanwalt fordert in seinem Plädoyer unter Einbeziehung der ersten Verurteilung eine Jugendstrafe von 10 Jahren. Ein sympathischer junger Mann sei er, der ihm da gegenüber sitzt. Ein Biedermann. Einer, dem man zutraut, dass er daheim den Rasen mäht. Aber nicht, eine junge Frau erstochen zu haben. Doch genau das hat er getan. Die Beweisaufnahme habe ganz eindeutig ergeben, dass Bernd F. im Mai 1985 die 19-jährige Schülerin Sylvia Sch. auf bestialische Weise mit 18 Messerstichen ermordet hat. Viele Indizien sprechen gegen den Angeklagten. Das Haar aus der Wohnung der Ermordeten, das ein Gutachter mit hoher Wahrscheinlichkeit als das des 32-Jährigen identifiziert hat. Der Fußabdruck, den der Mörder in einer Blutlache hinterlassen hat, und der dem von Bernd F. gleicht. Das Blut im Bad, das seiner Blutgruppe zuzuordnen ist. Schwerwiegend sei auch die Tatsache, dass F. drei andere Prostituierte im Nachbarhaus vergewaltigt und diese Taten zugegeben hat. Viermal sei der Täter auf gleiche Weise vorgegangen – alle Tatabläufe seien ähnlich. Das Alibi des Angeklagten sei geplatzt. Selbst wenn er bis halb 6 gearbeitet hätte, wäre noch ausreichend Zeit gewesen, um mit dem Auto zum Opfer zu fahren und die Tat ausführen.

Die Verteidigung fordert Freispruch. Es ist eine Mixtur von Spekulationen, Verdächtigungen und Wunschdenken, die wir hier gehört haben. Man hätte gern einen Täter, aber unser Mandant war es nicht. Die Indizien, die der Staatsanwalt hier vorgetragen hat, reichen nicht für eine Verurteilung wegen Mordes. Der Tatablauf in diesem Mordfall weicht sehr wohl von den Vergewaltigungen im Nachbarhaus ab. Der Angeklagte habe immer die Anonymität ausgenutzt. Warum soll Bernd F., der regelmäßig in einem anonymen 19-geschossigen Mietturm zuschlägt, plötzlich in dem zweistöckigen Flachbau zum Mörder werden, der gerade sechs Mietparteien Raum bietet. Wenn der Angeklagte wirklich der Mörder der Schülerin war, warum sucht er dann ein Jahr später wieder die Hochhaussiedlung auf und vergewaltigt eine Prostituierte. Ein Tatnachweis ist nicht zu führen. Bernd F. sei freizusprechen.

Bernd F. beteuert in seinem letzten Wort nochmals seine Unschuld.

Am 28. November 1997 spricht die Jugendkammer des LG Nürnberg und verurteilt den 32-jährigen Erlanger wegen Mordes zur Verdeckung einer Straftat und Habgier, wegen Raubes mit Todesfolge sowie versuchter Vergewaltigung zu der Höchststrafe – unter Einbeziehung der ersten Verurteilung – von 10 Jahren Jugendhaft. Aufgrund einer Vielzahl von Indizien sei man zu dem Schuldspruch gelangt. Spuren am Fundort der Leiche von Sylvia Sch. und der Tatablauf des Mordes stimmten mit drei anderen Überfällen auf Prostituierte in einem Nachbargebäude überein. In allen Fällen habe der Täter den Frauen ein Messer an die Kehle gesetzt, um sie dann zu vergewaltigen und auszurauben. Die ermordete Prostituierte Sylvia Sch. wurde mit Schnitten im Hals und insgesamt 18 Messerstichen aufgefunden, außerdem war ihre Geldbörse verschwunden. Ein Haar aus der Wohnung der Ermordeten hatte ein Gutachter als das des 32-Jährigen identifiziert. Auch der Abdruck eines linken Fußballens in der Blutlache glich dem von Bernd F. Dass im Badezimmer Blut mit seiner Blutgruppe gefunden wurde, erhärtet diese Indizien. Gescheitert sei der Versuch des Angeklagten, seine Unschuld zu beweisen. Sylvia Sch. wurde gegen 18 Uhr umgebracht. K. hatte beteuert, an jenem Donnerstag des 2. Mai 1985 die KFZ-Werkstatt gegen halb sechs Uhr abends verlassen zu haben und nach dem Abendessen bei seinen Eltern mit einem Freund in ein Fitness-Studio gegangen zu sein. Doch der vermeintliche Freund bezichtigte ihn im Zeugenstand der Lüge – das Alibi ist hier im Gerichtssaal wie eine Seifenblase geplatzt.

Zugunsten des Angeklagten spreche zwar, dass ihn eine Prostituierte tatsächlich einmal betrogen hatte. Auch sei der Mord nicht geplant gewesen; F. habe die Kontrolle über die Situation verloren, als sich das Opfer mit Tränengas wehrte. Die geplante Vergewaltigung sei aus dem Ruder gelaufen. Der Versuch der Verteidigung, der Angeklagte sei ein sympathisch-introvertierter Biedermann, sei durch Gutachten eines Kriminalpsychologen widerlegt worden. Man könne nur die der Höchststrafe aussprechen, da der Angeklagte mit furchtbarer Grausamkeit vorgegangen ist.

8 Monate nach dem Urteil wird die Revision vom Bundesgerichthof in Karlsruhe verworfen. Das Urteil ist seit diesem Zeitpunkt rechtskräftig.

Eine Sache vorweg: Der in der Sendung von Eduard Zimmermann gesuchte Motorradfahrer war nicht der Täter. Der Angeklagte hatte kein Motorrad zu dieser Zeit. Der XY-Wiki-Eintrag stimmt auch nicht ganz; ein Geständnis hat der Täter bzgl. des Mordes an Sylvia nicht abgelegt.

Das Urteil ist hier im Forum und auch in der Presse (s.o. der verlinkte ZEIT- Artikel) auf Kritik gestoßen. Der Artikel erzählt jedoch nur die halbe Wahrheit und unterschlägt andere Indizien gegen den Angeklagten in diesem Prozess, die schließlich zur Verurteilung geführt haben.

Das sogenannte Täterprofiling hat sich in Deutschland – das kann man jetzt 15 Jahre nach dem Urteil sagen – zu einer Überführung eines Täters vor Gericht nicht durchgesetzt. Die Polizei bedient sich dieser Maßnahme jedoch bei der Fahndung nach unbekannten Tätern – es ist somit eine heute durchaus verbreitete Fahndungshilfe der Beamten bei der Suche nach Tatverdächtigen. Spuren am Tatort und die Art und Weise der Tatbegehung können durchaus Rückschlüsse auf das Täterverhalten und die Persönlichkeit des Täters geben. Mit dieser Methode lässt sich dann der Täterkreis nach den festgestellten Kriterien eingrenzen. Das Profiling hat bei der Fahndung auch durchaus Erfolg und erscheint mir auch als zusätzliche Hilfe sinnvoll. Aber anhand des Täterprofilings eine Person beweiskräftig zu überführen, halte ich für ein Glücksspiel. So sehen das auch die Rechtssprechung und der BGH. Die Methode war damals neu und etwas Neues für deutsche Kripobeamte, und sie hatte am Anfang auch Erfolg. Profiler hatten bei einem Tankstellenmord in München ein halbes Jahr vor diesem Prozess eine Täterverhaltensanalyse erstellt, bei der Festnahme stellte sich dieses Täterprofil als richtig heraus.

Auch wenn die Richter von dem Gutachten des Kriminalpsychologen durchaus beeindruckt waren und in ihrer Urteilsbegründung auf das Gutachten sehr ausführlich eingingen, haben wohl andere Indizien schließlich zur Verurteilung geführt. Sehr oft fiel der Begriff "sehr hohe Wahrscheinlichkeit" – übersetzt heißt das bei Juristen eine Wahrscheinlichkeit von über 90%, dass die vorgefundene Spur und die genommene Probe von der gleichen Person stammen. Eine 100%-ige Sicherheit gibt es in der Kriminaltechnik (noch) nicht – auch bei einem DNA-Profil nicht. Nur der Fingerabdruck wird bei einer gewissen Anzahl von Merkmalen als unverwechselbar und somit als eindeutiger Beweis angesehen.

In der Regel reicht auch ein Indiz mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus, einen Täter zu verurteilen. Gibt es jedoch zwei oder drei Indizien mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit, bietet das in der Regel eine Grundlage für eine Verurteilung des Angeklagten. Hauptindiz war wohl das Haar, welches am Tatort gefunden wurde. Sollte die Haarwurzel vorhanden gewesen sein, dann ist eine Identifizierung so wahrscheinlich wie bei einer DNA-Analyse(über 98%).

Für eine Überführung vergessen konnte man damals eine Blutgruppenbestimmung (DNA war noch nicht verbreitet und hatte zu der Zeit noch keine große Akzeptanz). Wie der Name schon sagt, wird bei diesem Verfahren die Blutgruppe bestimmt. Ist diese Gruppe sehr weit verbreitet, kann diese Probe dann alleine in Deutschland Millionen von Menschen zugeordnet werden.